"Ich wäre gern ein Spielverderber"
Anja Quickert
Betrachtet man Ihre Arbeiten, so scheint ihnen trotz aller ästhetischen
Unterschiedlichkeit eines gemeinsam zu sein: eine spielerische Verfahrensweise.
Sie setzen Bekanntes in unbekannte Zusammenhänge, fordern den Betrachter
dazu auf, Sachverhalte, Themen neu zu durchdenken. Sie binden den Betrachter
in ein Spiel von Zeichen ein, die er selbst neu kontextualisieren muss. Ist
das die Schule von Alfonso Hüppi?
Peter Nagel
Zwei Impulse, die mein künstlerisches Arbeiten bestimmen, stehen sicher
in Verbindung zu einer hüppiesken Tradition. Einmal der Spieltrieb,
der ein Motor für meine Arbeit ist und der zum Teil meine Wahrnehmung
der Wirklichkeit als Künstler bestimmt: Stellen Sie sich ein Kind in
einem großen Warenhaus vor. Zum anderen, und das ist ebenfalls ganz
nahe an diesem Bild vom Kind, das seine Umgebung mit großem Erstaunen
und einer gewissen Naivität wahrnimmt: das Anti-Dogmatische meiner Arbeit.
Eine Haltung, die auf ihre Weise kritisch der Gesellschaft gegenüber-
tritt, sich aber dagegen sträubt, politisch oder ideologisch Stellung
zu beziehen und vereinnahmt zu werden. Mein Programm ist, kein Programm zu
haben.
Anja Quickert
An der Ausstellung "Realitäten. Von der Wirklichkeit hinter den Dingen"
ist auch das Graduiertenkolleg Kunst und Technik der TUHH beteiligt. Warum
werden Ihre Werke unter diesem Gesichtspunkt ausgestellt?
Peter Nagel
Das hat mich zuerst auch überrascht, dann aber habe ich mich sehr
darüber gefreut. Als Künstler nimmt man seine Arbeits- und
Verfahrensweisen irgendwann als etwas Gegebenes hin, über das man nicht
mehr ständig nachdenkt. Jetzt betrachte ich gerade selber meine Arbeit
unter diesem Gesichtspunkt bewusster und damit auch: neu.
Anja Quickert
In Ihren frühen Werken drückt sich ein anderes Verhältnis
zur Technik und damit auch zu Technik aus?
Peter Nagel
Das stimmt. Mein Studium und meine frühen Arbeiten waren sehr technikbezogen
in dem Sinne, dass mich die technischen Möglichkeiten und der Versuch,
diese Grenzen im Rahmen der Kunst auf zuheben, fasziniert haben. Die
Materialvielfalt, die Beherrschung des Materials, überhaupt das Denken
in Materie in Bezug auf seine dreidimensionale Verarbeitung hat mein
künstlerisches Schaffen sehr bestimmt. Technikbezogen aber auch in dem
Sinne, dass ich für meine skulpturalen Objekte, die figürlich strikt
dem Bereich der Stereometrie angehörten und abstrakter waren als meine
heutigen, auch Maschinen zur Herstellung benutzt habe.
Anja Quickert
Warum hat diese Faszination nachgelassen?
Peter Nagel
Durch Lebenserfahrungen. Durch den Kontakt zur so genannten Dritten Welt:
Ich habe eine farbige Frau geheiratet. Ich habe ange-fangen, zu verstehen,
was es bedeutet, zu den Verlierern dieser Technikeuphorie zu gehören,
zu den Verlierern der Globalisierung. Seit dieser Zeit habe ich mich zunehmend
mit gesellschaftlichen Inhalten beschäftigt und so wurde natürlich
auch meine Arbeit inhaltsbezogener. Ich habe angefangen in skulpturalen Bildern
zu denken. Die Technik war nicht mehr Selbstzweck, sondern nur noch Mittel
zum Zweck. Ich denke noch heute sehr viel über tech-nische Verfahren
nach, allerdings nur, um andere Inhalte damit zu transportieren.
Anja Quickert
Verglichen mit ihren eher minimalistischen frühen Arbeiten, sind Ihre
Kunstwerke auch viel komplexer, bunter und viel-schichtiger geworden.
Peter Nagel
Dahinter steht die Erkenntnis: Weniger ist doch nicht mehr Oder: Mehr ist
eben doch mehr. Meine Lebenswelt, meine ganze Umge-bung ist überfrachtet.
Diese Komplexität will ich abbilden, nicht reduzieren. Alles ist laut,
überdreht, überspitzt.
Anja Quickert
Und welche Rolle spielt dabei der technische Fortschritt?
Peter Nagel
Die Technik ist der Motor der Überdrehtheit. Die Kunst ist immer das
Abbild einer Epoche. Ich will meine Überforderung, die aus
Verfügbarkeits- und Flexibilitätsansprüchen der Gesellschaft
resultiert, weitergeben. Einen gewissen Technikpessimismus, wenn Sie so wollen.
Anja Quickert
Sie haben einmal gesagt, dass Sie die Kunstgeschichte als Selbstbedienungsladen
betrachten.
Peter Nagel
Genau, und insofern ist jemand wie Jonathan Meese derzeit für mich eine
willkommene Entwicklung. Die Kunstgeschichte tritt auf der Stelle, die
Avantgarden sind bedeutungslos geworden. Trotzdem dreht sich die Maschine
Kunst weiter. Überhaupt glaube ich, dass ein künstlerischer Aktionismus
eher bei Gruppen wie Greenpeace zu finden ist als bei Künstlern. Aber
das ist eben nicht meine Rolle.
Anja Quickert
Ist es Ihre Rolle, einen Ball zu nehmen, ihn aufs Spielfeld zu werfen und
dann von außen genau zu beobachten, was damit geschieht?
Peter Nagel
Das trifft es ziemlich genau. Ich führe dabei den Betrachter in die
Irre. Ich liefere nicht Kunstphänomene, die keine mehr sind, son-dern
Ästhetik. Damit hatte ich den Betrachtern den Spiegel des Konsumismus
vor.
Anja Quickert
Ein Journalist hat sie einmal als Spielverderber bezeichnet. Er meinte, Sie
infizierten noch die harmlosesten Dinge mit Ihrer skeptischen Sicht auf Zustand
und Lauf
der Welt. Sind Sie ein Spielverderber?
Peter Nagel
Wenn es überhaupt einen utopischen Moment gibt in der Art und Weise,
wie ich die Möglichkeiten der Kunst und des Künstlers
ein-schätze, gesellschaftliche Zustände zu beeinflussen, dann
würde ich es so formulieren: Es wäre sehr schön, eines Tages
ein Spielverderber zu sein.
(aus Katalog: Realitäten - Von der Wirklichkeit hinter den Dingen. Yaroslav
Sukhov. Peter Nagel. KTlab01, Hamburg)
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